Hessenliga
SVG Eppstein - FTV 1860 4:4
von Ludger, Thomas und Peter
Bennet und Lucas hatten wie erwartet starke Gegner, mit DWZ von ca. 2330 bzw. 2400. Eppstein brachte zwar nur zwei statt vier Schwergewichte an die ersten Bretter, und von den gemeldeten acht Spielern nur drei, aber die fünf Ersatzspieler hatten mit Zahlen zwischen 1954 und 2128 ungefähr unseren Durchschnitt.
An Brett 4 hatte Gerardo mit Pirc eröffnet. Sein Gegner opferte stellungsgemäß einen Bauern auf e6 und bekam etwas Vorteil. Dann landete aber ein weißer Springer auf a4 im Abseits, und Gerardo konnte in einer längeren forcierten Variante in ein remisliches T+L-Endspiel abwickeln. Evtl. wäre noch ein Gewinnversuch möglich gewesen, in einer komplizierten Variante mit weißem Qualitätsopfer. Das hätte für Schwarz aber auch nach hinten losgehen können, das war schwer zu bewerten. So beendete eine Stellungswiederholung die Partie: 0,5:0,5
An Brett 3 hatte Ludger sich in einem Sizilianer kurzfristig entschieden, nicht mehr wie in den letzten Jahren geschlossen oder mit 2. f4 zu spielen, sondern offen. Und prompt kam eine Variante aufs Brett, in der er sich gar nicht auskannte (1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 e5). Er vermied die Hauptvariante 5. Sb5 und schlug auf c6. Das war die richtige Entscheidung, denn der Gegner kannte sich auch nicht mehr so richtig aus. Ludger konnte sich normal entwickeln, und bald übersah sein Gegner einen Doppelangriff mit Bauernverlust. Auch seine Hoffnung auf Gegenspiel durch Öffnung des Königsflügels erfüllte sich nicht, denn diese Schwächung vertrug seine Stellung gar nicht mehr und die Partie war schnell vorbei: 1,5:0,5.
Jan hatte einen ziemlich starken Gegner erwischt (was er nicht wusste) und einen ziemlich schlechten Tag (was er umso schneller feststellte). Im Jobava-System ging Weiß aggressiv zur Sache und eroberte einen Bauern. Diesen holte Jan später wieder zurück, doch dafür lagen aktive Figuren und Initiative klar beim Gegner. Dieser schlug schließlich im Zentrum zu und mit erneutem Minusbauern sowie zerstörter Stellung bei wenig Bedenkzeit stieß Jan seinen König zu Boden: 1,5:1,5.
Thomas traf auf einen alten Bekannten aus den 80ern, so dass es eine besondere Partie für ihn und seinen motivierten Gegner werden sollte. Thomas versuchte eine lange Partie sicherzuststellen und wenige taktische Motive zuzulassen. Sein Gegner versuchte in der Mitte durchzubrechen, wodurch aber das Spiel verflachte und Figuren abgetauscht wurden. Im Schwerfigurenendspiel wogen sich die wenigen Schwächen auf und man einigte man sich am Ende wenig überraschend auf die Punkteteilung: 2:2
Peters Gegner hatte sich mit einem Hippopotamus verschanzt, der zwar als passiv aber widerstandsfähig gilt. In der Folge hatte Peter einiges an Raumvorteil, fand aber keinen überzeugenden Durchbruch. Sein Gegner zog extrem schnell und hatte kurzfristig eine volle Stunde mehr auf der Uhr. Als sich die Stellung schließlich öffnete wendete sich das Blatt und schwarz hatte die aktiveren Figuren, während Peter eine stabile Verteidigungsposition aufbaute. Nun verbrauchte der Eppsteiner eine Menge Zeit, fand aber ebenfalls keinen Gewinnweg, so dass zwei völlig unfähige Angreifer am Ende ein Remis vereinbarten: 2,5:2,5. Dem Gegner ahnte wohl schon was...
Lucas spielte erstmals eine bestimmte Eröffnung mit Schwarz, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll – wer weiß, wer alles mitliest… ;-) Aber wenn man damit gegen 2400 gewinnt, kann es ja nicht so schlecht sein! Nach der Eröffnung verpasste sein Gegner zweimal die Möglichkeit, deutlich kritischere Abspiele für Lucas zu spielen. Teils war das Ganze aber auch taktisch sehr schwer zu sehen. Am Ende landeten die beiden in folgendem Damenendspiel, das für mich auf den ersten (und zweiten) Blick remis schien (diagramme aus schwarzer Sicht!).
Doch Lucas fand einen unglaublichen Gewinnplan: 34. ...Kf5!! 35. Df8+ Ke4 36. Dxh6 Kd3 37. h4 gxh4 38.De3+ Kc2 39. Dc3+ Kb1 40.gxh4 a4 41. Df6 e5!
Nach dem Königsmarsch über das ganze Brett fehlten dem Gegner die nötigen Schachgebote und nach 42. h5 Kxb2 43. h6 Ka2 44. h7 b2 45. Df5 Dd8! gab Weiß auf: 3,5:2,5
Bennets offener Sizilianer war naturgemäß kompliziert, uns fehlte da zwischendurch der Durchblick, wer da eigentlich besser steht. Es schien ein Nachteil zu sein, dass sein starker schwarzfeldriger Läufer gegen einen Springer abgetauscht wurde, andererseits hatte Bennet aber auch eine gewisse Initiative. Die war aber wohl nicht ausreichend, denn man landete in einem Turmendspiel mit schwarzem Mehrbauern, was letztendlich nicht zu halten war: 3,5:3,5.
Grover stand erst mal im Stau und kam 40 min. später. Dann kam es im Trompowsky zum Abtausch auf f6 mit resultierendem Doppelbauern. In der Folge widmete Grover sich dem Damenflügel und ließ seinen Gegner am Königsflügel gewähren. Das bedeutete: vorgerückte schwarze Bauern und zwei Läufer plus Springer, die bedrohlich und opferbereit in die weiße Stellung hineinlugten. Uns wurde dann doch ein wenig bang, aber Grover zog dann doch noch Figuren vom Damenflügel zur Verteidigung ab, und sein Gegner hat sich wohl auch nicht rechtzeitig zum Opfern entschlossen. So kam es nach Abtausch aller Schwerfiguren zu einem denkwürdigen Endspiel: eine Bauernphalanx mit kleinen schwarzen Schwachstellen sowie jeweils zwei Leichtfiguren (wS+L, sL+L). Dabei war Grovers Springer ein guter, der schwarze weißfeldrige Läufer ein schlechter. Und so versuchte Grover in sagenhaften 42 Zügen das Unmögliche möglich zu machen und den Schwarzen irgendwo auszuhebeln. Wohlgemerkt: 42 Züge ohne einen Bauernzug oder Schlagfall manövrierten die Leichtfiguren und Könige hinter den eigenen Bauernreihen übers Brett. 8 Züge später hätte eh die 50-Züge-Regel remis gemacht. Gewinnversuche wären höchstens durch ein Figurenopfer noch möglich gewesen, aber da war Ludger sehr froh, dass Grover darauf verzichtete, denn das wäre wahrscheinlich in die Hose gegangen. Hut ab vor Grovers Siegeswillen, und sein Gegner hatte auch Verständnis für dieses ewige Manövrieren, und er musste auch viel Bedenkzeit investieren, denn ganz trivial remis war es nicht: 4:4
Kämpfer Grover
Fazit: Mit diesem Punkt können wir zufrieden sein, denn vorne konnten wir vor allem durch Lucas' Sieg gegen einen 2400er gegenhalten und hinten bei ungefährer DWZ-Ausgeglichenheit war der Ausgang letztlich für beide Seiten verdient.
Landesklasse
SV Bergwinkel - FTV 1860 II 5,5:2,5
von Max Schmidt
Nach langer Sommerpause starteten wir unser erstes Saisonspiel auswärts in Schlüchtern. Die weite Anreise wurde durch die herrliche Natur und sehr freundliche Schachspieler von Bergwinkel wettgemacht. Unsere Mannschaft vertraten Maria, Bao, Oli, Max W., Stefan, Ian und ich. Jan musste, leider sehr kurzfristig, in der 1. Mannschaft aushelfen. Zum Glück spielte unser Wettbewerber ebenfalls nur zu siebt, entschied aber trotzdem das Spiel 5,5 zu 2,5 für sich.
An Brett eins entstand bei mir eine Position in der ich leicht schlechter stand und der einzig vernünftige Weg war eine Figur für 2 Bauern zu geben und dann in Alexej-Shirov-Stil „weiterzufummeln“. Ich schaute mich bei den anderen um und fand, dass wir überall gut bis sehr gut standen und da ich nicht Alexej Shirov heiße, bot ich Remis an – welches mein Gegner nach längerem Nachdenken annahm. Die Engine hat meine Einschätzung im Nachgang bekräftigt. Somit ging das Remis in Ordnung.
Brett zwei haben wir freigelassen. Da Max‘ Gegner nicht kam, spielten die kampflosen Spieler eine Trainingspartie unter sich.
Derweil wurde Oli in einer ausbalancierten Stellung vom schwarzen Springer auf d2 überrascht. Die Folge war eine geschwächte Rochadestellung am Königsflügel und später musste Oli’s Dame gegen Turm und Leichtfigur vom Brett gehen. Kompensation war nirgends zu sehen und der Gegner setzte konsequent weiter fort bis Oli aufgab.
Bergwinkel ging somit in Führung. Alle anderen Frankfurter Spieler haben sehr konzentriert weitergespielt und standen überall gut. Maria hatte einen Mehrbauern in der Eröffnung gewonnen und drückte auf die schwarze Stellung. Ian hat erst einen Bauern hergegeben, jedoch später mit Gegenkompensation zurückgewonnen und stand sehr aktiv. Stefan stecke ziemlich viel Zeit (bei Zug 19 hatte Stefan nur noch 3 Minuten übrig) in die Eröffnung und bekam als Dividende eine äußerst lukrative Vormacht im Zentrum sowie Entwicklungsvorsprung. Ähnlich erging es Bao, der Weiß nicht einen Hauch von Eröffnungsvorteil zugestand, jedoch nach 12 Zügen nur noch 5 Minuten auf der Uhr hatte.
Ian hat dann in der kreativen Stellung die Koordination seiner Figuren etwas durcheinandergebracht, musste eine Qualität hergeben und irgendwann auch den Punkt. Da war sicherlich viel mehr drin Ian!
Stefan und Bao gleiteten gleichzeitig in die schlimme Zeitnotphase ein, wo jeder nur noch vom Inkrement lebte. In Zeitnot ist keinem geholfen und leider hatten die Jungs kein Glück.
Maria sorgte zum Schluss für den Ehrensieg. Bravo!
Insgesamt ist das Ergebnis sicherlich zu hoch ausgefallen und drückt nicht die Spielqualität aus die wir an diesem Tag abgaben. Mir persönlich hat das sehr konzentrierte Spielen aller Mannschaftskollegen extrem imponiert. Weiter so!
Zum Abschluss testeten Bao, Ian, Stefan und ich in der bewährten GM-Storch Tradition ortsansässiges Döner-Restaurant und ließen den Frust sukzessive verdauen.
Bezirksklasse
Königsjäger Hungen - FTV 1860 IV 4,5:1,5
von Rusen Cikar
Der erste Spieltag stand für die 4. Mannschaft von Beginn bis Ende im Zeichen der Bildung.
Die Fahrt zum Spiellokal unseres Gegners gab uns ob seiner Dauer die Gelegenheit für ausführliche Recherchen und Gespräche. Gleich zu Beginn versetzte uns Magnus – erkennbar ein Verfechter der humanistisch-Humboldt’schen Bildungsideale – auf den für einen jeden guten Gast erforderlichen Wissensstand. So lernten wir über die Heimatgemeinde unseres Rivalen, dass Hungen zum ersten Mal 782 n. Chr. urkundlich erwähnt wurde und 130 m über NHN liegt.
Auf den Brettern setzte sich bald der Bildungsprozess für jeden Einzelnen von uns fort.
An Brett 1 machte Jens mit Weiß die Erfahrung, dass die höhere Gewinnerwartung von Gegnern, die in der jeweiligen Liga überdurchschnittlich hohe Wertungen haben, schlichtweg in die Realität umschlagen kann: 0:1.
Den Blick auf Brett 2 gerichtet lernten wir, dass junge Menschen (Kostas) auch mit einiger Verspätung keine Schwierigkeiten haben, mit Schwarz zu gewinnen. Weiterhin wurde uns vergegenwärtigt, dass Elektro-Fahrzeuge, die im Notfall zur Beförderung dieser jungen Menschen eingesetzt werden, eine begrenzte Reichweite haben: 1:0.
An Brett 3 bildete sich Rusen mit Weiß über die Vorzüge bislang auch von ihm weniger bekannter Gambits (Geller Gambit in der Slavischen Verteidigung). Er lernte, dass längere, taktische Tauschsequenzen möglichst präzise abgewickelt werden sollten, um sich keine Gewinnvorteile entgehen zu lassen: remis.
An Brett 4 erkannte Magnus mit Schwarz den Unterschied zwischen funktionierenden und nicht funktionierenden Taktiken. Er lernte, dass auch der Gegner seine Vorteile erst konsolidieren muss. Im Endspiel verschaffte er sich Gewissheit über den Nachteil einer schlechteren Bauernstruktur sowie eines Läuferpaars gegen einen Turm: 0:1.
An Brett 5 machte Nabeegh mit Weiß Bekanntschaft mit der Philidor-Verteidigung. Er sah, dass ausgeglichene Stellungen aus taktischen Gründen schnell umschlagen können und dass der Nachteil einer Leichtfigur nur schwer ausgeglichen werden kann: 0:1.
An Brett 6 erkannte Verena mit Schwarz, dass es voraussetzungsvoll ist, anfangs sehr gut herausgespielte Gewinnstellungen (Turmvorteil gegen einen auf dem Papier stärkeren Gegner) in einen Sieg zu verwandeln. Auch, dass verflossene Gewinnvorteile im Endspiel taktisch wiederkehren können, aber bei fortgeschrittener Zeit noch schwerer zu finden sind. Schließlich, dass Patzer bis zum Schluss gemacht werden können: 0:1.
Auf der Rückfahrt nahmen wir die aktuelle Diskussion über Betrug im Spitzenschach zum Anlass, über den mit der Überwindung des Inquisitionsprozesses verbundenen
Zivilisationssprung nachzudenken. Im gleichen Zusammenhang informierten wir uns über den technologischen Fortschritt, der (konkret im Bereich von elektronischen Gerätschaften) inzwischen erzielt wird. Auf den ersten Blick schien einiges für den nicht gerade trefflich, aber wohl treffend formulierten Satz eines ehemaligen Politikers zu sprechen, dass in diesen Dingen (Fortschritts- und Aufklärungsprozesse) entscheidend sei, „was hinten rauskommt“.
Nach einigem Nachdenken waren wir aber mit Blick auf unsere persönlichen Lernerfahrungen im Schach (siehe heute, 4,5–1,5 für die Heimmannschaft) der gegenteiligen Meinung, nämlich dass der Prozess – die Bildung ein ebensolcher – seinen Eigenwert hat
Kreisklasse
Bad Homburg VIII - FTV 1860 V 2,5:1,5
von Jan Michelberger
Verena: „Führe unsere Mannschaft einfach zum Sieg ;) ;)“
„Schneller als ich f4 blitze ;)“
Der Verf.
Verheißungsvolle Worte von meiner Wenigkeit, der Stellvertretung für unsere Mannschaftsführerin. Die Worte hallten mir neben letzten Vorbereitungen für meine Vertretungsrolle zum Glück überschaubaren Aufgaben nach, als ich mit meinen Mitstreitern Sarah und Roman die Reise zu unserem Veranstaltungsort antrat. Ein wenig surreal war es für mich noch immer; es mochte an meinem etwas verträumten Morgen liegen. Durch ein Verwaltungsversehen kam ich zu meiner Rolle als Spieler, vom Reservespieler zum stellvertretenden Mannschaftsführer für den Tag... Ich fühlte mich irgendwie an Aschenputtel erinnert. Wessen Glück oder Unglück diese Fügung war, konnte und kann ich nicht einschätzen. Dankbarerweise nahmen nicht nur alle Betroffenen, sondern auch ich dieses Los relativ schnell und unterstützend an! So sehr mich die unverhofften Aufgaben auch freuten, fühlte ich im selben Atemzug auch einen Hauch von Nervosität über mich hinwegfahren.
Ich wollte den Erwartungen an meine Rollen gerecht werden: Als Spieler wie als Vertreter der Mannschaft.
Meine begleitenden Mitspieler wirkten hingegen guter Dinge! Auch wenn Roman es sich selbst nicht so recht eingestehen wollte und mit seiner regulären 1. e4-Antwort eine kleine Sinnkrise durchlief, war er in seinen etablierten Verteidigungen als Schwarzer recht firm. Sarah brachte sich auch ab und an in unseren regen Austausch ein. Von ihr als Spielerin wusste ich nicht viel... Außer, dass sie den Versuchungen des Londoner Systems erlegen ist. Als mehr oder weniger gelungenes, selbsternanntes Abziehbild von Morphy mit ein paar modernen Einflüssen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Es ließ sich allerdings schwer bestreiten, dass die Eröffnung für unser Level eine sehr gute Wahl wegen ihrer klaren Pläne und geringer Fehlerwahrscheinlichkeiten in den ersten Zügen ist. Als Mannschaftsführer konnte ich ihr solides Repertoire daher nur begrüßen, wenn auch mit schwerem Herzen.
Nach einer kleinen Odyssee mit den hiesigen Buslinien inklusive einer U-Bahn grüßte uns eine leichte Brise beim Ausstieg an der Spessartstraße. Die Wolken am Himmel, die roten Blumen am Ufer sowie der sanft vor sich hin plätschernde Fluss luden zum Träumen ein. Theoretisch war dafür noch Zeit; praktisch rief uns die Pflicht zur Halle. Zufälligerweise trafen wir schon hier unsere späteren Gegner. Eine theoretische Diskussion über die skandinavische Verteidigung zu dieser Zeit an diesem Ort mit der Laufrichtung? Eine andere Schlussffolgerung war kaum möglich, als in ihnen welche „von uns“ zu sehen. Wir folgten ihnen so auffällig, wie man das mit einem Typen in Anzugweste, Hemd und Zylinder an der Spitze hinbekommen konnte – mit der bombenfesten Ausrede, die längst hinter uns zurückgelassene Kerb im Ernstfall zu suchen.
Letzten Endes kamen wir wohlbehalten und ohne größere Zwischenfälle an. Die Ausrede kam nicht auf den Prüfstand. Gnade des Himmels oder Verrat an den Göttern? Das können wohl nur Letztere beantworten. Da die Veranstalter für uns noch nicht viel Verwendung hatten, haben wir uns noch ein wenig die Beine vertreten. Die ersten Regentropfen auf unseren Gesichtern brachten mich langsam aus meinem leichten Wachtraum. Ihm wich ein klopfendes Herz beim Gedanken an mein zweites Vereinsspiel. Auf uns als letzte Mannschaft mögen nicht unbedingt die meisten Augen gerichtet sein, doch geht mit dem Gedanken, sich zu exponieren und für Andere zu spielen immer ein gewisser Schuss Adrenalin einher. Es wirkt irgendwie... echter, lebendiger als die heimischen Partien. Für Sarah würde es sogar ihre allererste Runde sein! Wir drei sprachen uns gegenseitig Mut zu, sinnierten über Guess-the-Elo-Folgen, für die wir unserer Meinung nach alle irgendwie qualifiziert wären, und kehrten frohen Mutes zur Halle zurück.
Kurz vor unserem Match stieß auch Moawis zu uns. Wenn Sarah in dem Buch meines Lebens bisher nur eine Handvoll A4-Seiten füllte, war Moawis für mich noch ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Ich muss daher schon jetzt um Nachsehen bitten, wenn sich der ein oder andere seiner möglicherweise vorhandenen Fanboys/-girls mehr erhofft haben sollte. Die Umstände sind manchmal wenig vergebend! Nichtsdestotrotz machte er einen sehr sympathischen Eindruck!
Zwei Sachen blieben mir von ihm sehr positiv an ihm in Erinnerung: Bei allem Durcheinander von Sitzordnung, mehreren zu koordinierenden Vereinen, verwirrten Mitspielern und einem etwas selbstherrlichen Organisator (Anders kann man es wohl schwer betiteln, wenn wir aus Prinzip nach Betreten des Saals über die begehbaren Fenster ohne Grund wieder rausgeschickt wurden, nur um über die Tür am anderen Ende der Halle wieder reinzugehen...) brachte er Licht ins Dunkel, indem wir mit seiner Hilfe die richtige Reihe inklusive der richtigen Brettreihenfolge herausfinden konnten! Seine Gegnerin war mir mit ihrer Schrift und den Daten ihrer Vereinsmitglieder für den Match-Zettel ebenfalls eine große Hilfe! Für die Schreibassistenz war ich doch sehr dankbar. Meine Handschrift stellt... besondere Anforderungen an uninitiierte Leser.
Nachdem denn alle an ihren Plätzen und versorgt waren, konnte auch ich mich meinem Gegner zuwenden. Beim Anblick meines Widersachers rutschte mir unwillkürlich die rechte Augenbraue hoch. Der feurige Junge grüßte mich mit einem Lächeln im Gesicht und Augen, aus denen eine Vertrautheit leuchtete. Wir standen uns in selber Farbverteilung (ich Weiß, er Schwarz) bereits in der DSAM diesen Jahres entgegen. Die Partie mit ihm verdiente es wirklich, romantisch genannt zu werden: Auch wenn mein Gegner das ihm damals angebotene Königsgambit ablehnte, griff er mich ab dem sechsten Zug erbarmungslos an. Leider konnte ich beim Verteidigen genug Gegenspiel aufbauen, um mit einem waghalsigen Turmopfer am Ende einen tödlichen Mattangriff aufs Brett zu bekommen. Das zog an meinem Gegner nicht spurlos vorbei – damals wie heute. Schon vor dem Spiel verlautbarte er, mich dieses Mal nicht mein Gambit spielen zu lassen. Ich lächelte in stiller Vorfreude, wünschte ihm viel Glück und zog meinen Königsbauern zwei Felder vor.
Kurz überlegte ich, ihn mit 1. f4 aus dem Konzept zu bringen. Doch haben mich die Antworten meiner Gegner hier bisher teilweise mehr verwundert als sie mein seltener Eröffnungszug. Ob meine Wahl hier einen großen Unterschied gemacht hätte (Anhänger dieser Verteidigung bringen sie häufig, wenn sie die Chance auf ihre Eröffnung sehen und sich nicht zu helfen wissen), wage ich nach dem Eröffnungszug meines Gegners zu bezweifeln: 1. ...c5. In beiden Fällen hätte ich denselben Aufbau gespielt.
Wieder rang mir mein Gegner ein wenig stille Be- wie Verwunderung ab. Sich auf unserem Level in so etwas theorielastiges wie sie Sizilianische Verteidigung zu stürzen zeugt entweder von einer gewissen Hybris oder echtem Durchhaltevermögen und einer ambitioniert-optimistischen Grunddisposition. Beides würde ihm gut zu Gesicht stehen – in wertschätzender Hinsicht!
Ganz dem Versprechen der eigentlichen Mannschaftsführerin treu wurde natürlich auch der f-Bauer gezogen. Leider musste er bis zum dritten Zug warten, um seinen Platz in der Sonne zu bekommen. Wer mein Repertoire kennt, wird vom Grand Prix-Angriff gegen 1. ...c5 durch mich wenig überrascht sein. Vielen meiner Kollegen unverständlich entwickelte ich im Laufe meiner Schachzeit eine regelrechte Besessenheit mit dem F-Bauern.
Wie dem auch sei: Man mag in der Zugfolge eine gewisse Vorsehung sehen, da es tatsächlich drei Leute brauchte, um mein Versprechen gegenüber Verena zu erfüllen.
Trotz entsprechenden Bravados und Willen dazu konnte ich hierzu als Einziger leider nichts außer moralischer Unterstützung beisteuern. Mein Gegner mauerte sich mehr oder weniger ein, während er mich meist gewähren ließ. Ein wenig überraschte er mich mit seiner Entscheidung, lang zu rochieren. Die kompromittierte Bauernstruktur (Bauern auf a6 und c5) macht das eigentlich wenig attraktiv. Allerdings muss man ihm zugute halten, dass nahezu meine gesamte Armee schon Richtung Königsflügel schielte. Zum Glück ist die Bauernstruktur des Grand Prix-Angriffs flexibel genug, um auch auf so etwas reagieren zu können und Feindseligkeiten auch auf dem anderen Flügel eröffnen zu können. Ich baute mit einem Bauernsturm und meinen Türmen einiges an Druck auf und hatte meine Dame auch bereits so positioniert, dass sie bald ins Geschehen würde eingreifen können. Die einzige Figur, die ich noch vermisste, war mein verbliebener Springer. Ganz im Stil des Grand Prix-Angriffs tauschte ich meinen weißfeldrigen Läufer früh gegen den Damenspringer und errang den fianchettierten schwarzfeldrigen Läufer meines Gegners zum Preis meines eigenen.
Ich rechnete an einem Bauernopfer, um den Weg in den Angriff für meinen Springer in den Angriff zu ebnen. Mein Gegner hat neben Verteidigungszügen gern nach kleinen Taktiken und Chancen Ausschau gehalten. Seine Springermanöver, mit denen er letztlich meine Dame ins Visier nehmen wollte, sind mir daher nicht verborgen geblieben. Wenn sich aus seinen Chancen nichts ergab, zog er Wartezüge wie ...h6 oder ...a6. Den letztlich spielentscheidenden Zug... Se2+ mit Angriff auf meine Dame hatte ich daher im Sinn, nur als ungefährlich verworfen. Obwohl meine Dame sich auf c3 befand und das Feld ungedeckt war! Warum?
Simpel. ...Das Plus blieb geriet mir nach ungefähr 25 Minuten Rechnerei irgendwie abhanden...^^
Amateurschach... In all seiner chaotischen Schönheit wohnt ihm auch eine gewisse Tragik inne. Auch wenn die Maschine mir nicht mehr als kleine Vorteile attestieren konnte, war der Druck auf dem Damenflügel überwältigend. Früher oder später wäre mein passiver Gegner kollabiert. Dass ein falscher Zug alle kleinen Siege auf dem Brett zunichte macht und Spiele auf unserem Niveau letztlich darauf reduziert, als Erster einen Fehler zu finden und danach zu mauern... In Momenten wie diesen frustrierte es mich ein wenig. Stockfish wäre wohl trotz der Rochade auf den Damenflügel glücklicher gewesen, wenn ich weiter auf dem Königsflügel angegriffen hätte. Dort fanden sich meine aktiveren Figuren, während Schwarz seiner Meinung nach keinen wirklichen Gegenangriff auf die Kette kriegen würde. Zumindest wäre ich so mit einem Mehrbauern rausgekommen, wenn sich der Staub gelegt hätte.
Die Dame mag mir geraubt worden sein, doch mein Kampfgeist blieb, wo er war. Letztlich konnte ich mich in ein Endspiel mit einem Turm weniger retten, was jedoch auch ziemlich sicher verloren war. Ich versuchte noch ein paar letzte Tricks mit meinem Springer und investierte weitere 30 Minuten in meine Suche nach einer Eingebung von Caissa...
Am Ende blieb ich verloren in Geist wie Spiel zurück. Noch am Hadern mit meinem Fehler, meiner inneren Haltung dazu und den mehr oder weniger verhohlenen Vorwürfen meines Gegners mir gegenüber, mir trotz seines die Dame gewinnenden Zuges noch so viel Zeit gelassen zu haben, unterschrieb ich den Zettel, bedankte mich leider etwas halbherzig für das Spiel und ging meines Weges. Wirklich übel nehmen konnte ich dem Jungen seine Ungeduld nur schwer. Als manchmal etwas zu ehrgeizige Person machte es das jedoch nicht besonders leicht. Auch jetzt hätte ich von mir da eigentlich etwas mehr erhofft. Mein Gegner mag im Wesentlichen nur gemauert haben, aber auch das hinzubekommen erfordert eine gewisse Spielstärke! Und wenn es auf unserem Niveau reicht, den Gegner an sich selbst zugrunde gehen zu lassen, ist das durchaus eine legitime Strategie. Ich konnte es ihm nicht widerlegen, daher Kudos!
Der Spieler in mir wollte gehen, der Mannschaftsführer mit Unterstützung meines Anstandes ließen das jedoch nicht zu. Glücklicherweise hatten Roman und Sarah freudigere Nachrichten. Roman konnte seinen Gegner in einem Grabenkampf mit der französischen Verteidigung in die Knie zwingen. Ich wünschte, ich könnte das Chaos seiner Partie in adäquate Worte fassen... Doch kein Ausdruck könnte dem gerecht werden. Roman spielte eigentlich nur relativ natürliche Züge, während sein Gegner fast von sich aus zusammenbrach. Und ehe man sich's versah, hatte unsere Seite im Spiel einen Läufer und einen Turm mehr. Das Matt ließ nicht lange auf sich warten. Wir haben beide nicht so recht verstanden, was genau passiert ist. Wir haben zusammen auf der Rückfahrt und im Verein letzten Monat gerätselt gehabt, kamen allerdings auch zusammen auf keinen grünen Zweig.
Sarah wirkte etwas unzufrieden mit ihrem Match, konnte sich jedoch in ein Remis retten. Nach ihrer Schilderung wäre wohl „wurde in ein Remis gezerrt“ angemessener. Ihr Gegner fand Gefallen am Englund-Gambit – dem schlimmsten Alptraum aller London-Spieler, die im Blitz unbedacht 2. Lf4 vorausziehen. Anders als mein ehemaliger WG-Nachbar konnte Sarah dank des analogen Mediums nicht nur dieser Gefahr ausweichen, sondern relativ schnell eine gewonnene Stellung gegen das riskante Gambit kraft überlegener Theoriekenntnisse erlangen. Man darf vermuten, dass die Fallenlinie mit 2. ...De7 gespielt wurde und Sarah im entscheidenden Moment 5. Sc3! fand, wonach Weiß de facto auf Gewinn steht. Als Ergebener des Mantras von Bobby Fischer mehr im Geiste denn im Können („Best by test – I play 1. e4 and I win.“) sind mir die Pläne nur grob bekannt. Es gibt ein Matt in acht Zügen, auf das die meistgespielte Linie des Gambits wohl abzielt. Mehr als beten ist das am Ende aber nicht. Die angerufenen Götter hörten an diesem Tag wohl nicht zu. Sarah konnte die Mattfalle vermeiden und mit einer gewonnenen Stellung aus der Eröffnung emporsteigen.
Figuren wurden getauscht und Sarah stieg aus dem Durcheinander mit klarem Gewinn hervor. Ihr Gegner hatte eine letzte Falle parat. Hier würde jedoch nicht der Tod ihres Königs, sondern lediglich ein Waffenstillstand in Form eines Patts warten. Wenn sie die freiliegende Figur am Ende nicht geschlagen hätte, wäre es ihrem Widersacher nicht möglich gewesen, seinen letzten Stein mit Schach zu opfern und sich so in ein Patt zu retten. Sowas kann man ihr allerdings nur schwer verübeln. Einerseits sind Fehler menschlich, auf der anderen Seite sucht man auf unserem Niveau nur selten nach Remis-Möglichkeiten. Insofern würde ich das als wertvolle Lektion für sie und immerhin einen halben Punkt für uns verbuchen!
Letztlich hing unser Mannschaftssieg also an unserem letzten noch spielenden Mann: Moawis. Seine Partie mit der inoffiziellen Mannschaftsführerin der Gegner lief noch, als sich der Rest des Teams über ihre Spiele unterhielt. Roman und ich erhaschten ein paar Blicke. Es sah gut aus! Moawis hatte beide Türme sehr günstig gegen unsere Widersacherin in Stellung gebracht, sodass ihr Läufer gefesselt war und es dank der guten Platzierung beider benannter Schwerfiguren nur eine Frage der Zeit sein würde, bis er den gefesselten Geistlichen und damit auch die Partie gewinnen würde.
Ein zweites Mal an diesem Tag rang mir mein mir unbekannter Mannschaftskollege stille Bewunderung ab: Seinem Partiezettel zu urteilen entstand seine Partie aus einer spanischen Eröffnung. Wer auch immer sich als Anfänger freiwillig in diesen endlosen Dschungel begibt, wo Leute wie Bobby Fischer noch für Novitäten einzelner Linien in Zug 20 (!) gefeiert werden, verdient schon deshalb meinen Respekt. Und das ist nur die Spitze dieses Eisberges... Ich bin ganz froh, mich auf einem chaotischeren Pfad verloren zu haben und den Kelch der Berliner Verteidigung an mir vorbeiziehen lassen zu können...
Letztlich konnte Moawis seinen Vorteil auch in eine Mehrfigur konvertieren, einer letzten Remis-Falle seiner Gegnerin ausweichen und die Partie sicher nach Hause bringen! Auch beim Parieren der Falle war ich wirklich begeistert, da ich aus meinem ersten Impuls in einer schnellen Partie beziehungsweise einem unachtsamen Moment selber reingelaufen wäre...^^
Trotz aller Widrigkeiten fuhren wir doch noch mit einen Sieg für den FTV nach Hause! Leider schien sich dieses Jahr schon die wunderliche Tradition etabliert zu haben, dass Rückwege von Schachturnieren zu kleinen Irrfahrten mutieren würden... Es gab Umleitungen bei den Buslinien, was zu einem wahnwitzigen Sprint von Moawis sowie zu einer spontanen Umgruppierung von uns zu einer anderen Station führte. Letztlich fand die ganze Crew doch wieder im selben Bus zueinander, wenn auch verschieden ausgelaugt.
Moawis zeigte sich wirklich gesprächsfreudig, doch war aus dem Rest irgendwie die Luft raus. Wir tauschten ein wenig süßes Nichts und unsere Pläne für den kommenden Abend aus, bis wir uns schließlich auf der Hauptwache wiederfanden. Mit schönen Partien im Kopf, Freude im Herzen und einer gewissen Erschöpfung im Körper trennten sich unsere Wege. Letztlich konnte sich unsere Mannschaft auch ohne nennenswerte Hilfe von mir ganz gut selbst zum Sieg führen.
Ich könnte glücklicher darüber nicht sein – als Spieler und als vertretender Mannschaftsführer.